Von San Diego nach Vilnius: Eine Jüdische Bibliothek für Litauen

Von San Diego nach Vilnius: Eine Jüdische Bibliothek für Litauen

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Derzeit gibt es keine kulturell vielfältigere Einrichtung in Litauen als die jüdische Bibliothek, die im Dezember 2011 in der Hauptstadt des baltischen Landes eröffnet wurde. Das Konzept ist einfach: alle Bücher, Filme und die Musik müssen entweder von einem jüdischen Thema handeln oder von einem jüdischen Schriftsteller oder Künstler stammen.

Filme von Steven Spielberg werden sich die Regale mit religiösen Texten, Büchern über Synagogen in der Türkei und den der Bibliothek gestifteten Fotografien teilen, beispielsweise denen des Schauspielers Leonard Nimov, der für seine Rolle des Spock in Star Treck bekannt ist. Die meisten Medien in diesem kleinen Laden in Vilnius werden in englischer Sprache sein, aber die Bibliothek wird auch Texte auf Russisch, Französisch und Deutsch umfassen. Es gibt keine Vorgaben, welche Sprachen in der Vilnius Jewish Library vorkommen dürfen, solange die Bücher die jüdischen Kriterien erfüllen.

Gründer Wyman Brent

Die einzigartige Sammlung der Bibliothek war das geistige Kind des amerikanischen Buchhändlers Wyman Brent, 49. Er ist weder Jude, noch liegen seine familiären Wurzeln in Litauen. Er ist ganz einfach ein Literaturliebhaber, der vor sieben Jahren in einem Buchladen seiner Heimatstadt San Diego, Kalifornien, auf die Rabbi Small-Serie von Harry Kemelman stieß. Die Romane erzählen die Abenteuer eines religiösen Detektivs und waren in den 1960er und 70er Jahren sehr beliebt. Von da an wuchs Brents Sammlung von Büchern, Filmen und Memorabilia an, bis ihm klar wurde, dass er damit irgendetwas machen musste. Die Idee der Bibliothek war geboren.

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Nachdem er im Jahr 1994 zum ersten Mal nach Vilnius gekommen war und sich in die gewundenen Kopfsteinpflasterstraßen, die gotischen Münster und das reiche jüdische Erbe verliebt hatte, wusste Brent, dass die Bibliothek dort ihren Platz hatte. 2008 schickte Wyman seine Sammlung – insgesamt ca. 4 000 Medien – nach Vilnius und begann, nach einem Aufbewahrungsort zu suchen. „Es gibt zwei Möglichkeiten, was mit dieser neuen Bibliothek geschehen kann“, sagt die Übersetzerin und Bibliografin Olya Lempert, die die einzige jüdische Schule in Vilnius besucht hat. „Entweder wird sie ein aberwitziges Sammelsurium oder sie entwickelt sich ganz zufällig zu einer schönen Sammlung.“

Das Ministerium für Kultur hat der Bibliothek Teile eines Gebäudes auf der Gediminas-Straße und einen Zuschuss von 700.000 Litas (ca. 200.000 Euro) zur Verfügung gestellt. Wyman, der selbst 50.000 US-Dollar in die Sammlung gesteckt hat, wird Sonderbotschafter der Bibliothek und wird Personen und Einrichtungen dazu auffordern, Bücher zu spenden. Arunas Gelunas, der litauische Minister für Kultur, sagt: „Für die Zukunft Litauens ist es sehr wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir ein Teil der reichen und vielfältigen Tradition der europäischen Kultur sind. Dieses Projekt wird einen Teil des vielfarbigen Mosaiks, das Vilnius einmal war, wieder herstellen. Das wird uns dabei helfen, das kulturelle Erbe unseres Landes in seiner ganzen Bandbreite wahrzunehmen.“

Jüdische Kultur in Vilnius

Heute leben rund 5.000 Juden in Litauen (ca. 0,1% der Gesamtbevölkerung); vor dem Zweiten Weltkrieg waren es noch etwa 220.000. Vilnius war ein kulturelles Zentrum für jüdische Kunst und Kultur, und Juden lebten mehr oder weniger friedlich mit ihren litauischen, russischen und polnischen Nachbarn zusammen. Heute ist nur noch ein Bruchteil des reichen kulturellen Erbes übrig (und so gut wie nichts von den vielen jüdischen Bibliotheken, die es vor der Shoah gab). Das Staatliche Jüdische Gaon-von-Vilnius-Museum und seine Partnereinrichtung, das Zentrum für Toleranz, setzen sich dafür ein, die Litauer über die schmerzvolle Geschichte des Holocaust aufzuklären, die bis zur Unabhängigkeit Litauens im Jahr 1990 von der Sowjetunion größtenteils geheim gehalten wurde. Auch wenn es bis heute zwischen der litauischen und jüdischen Gemeinde nach wie vor viele Missverständnisse gibt, wurde dieses Jahr offiziell zum ‘Jahr der Erinnerung an die Opfer des Holocaust in Litauen’ ausgerufen. Als Kuratorin der Holocaust-Ausstellung im Jüdischen Museum erzählt Rachelė Kostanian, dass sich seit wenigen Jahren in der Gesellschaft ein spürbarer Wandel vollzieht. „Der Holocaust ist etwas stärker in das Bewusstsein der Menschen gerückt.“

Da es nur noch wenige Juden gibt, ist das jüdische Leben in Vilnius marginal und spielt sich hauptsächlich rund um das jüdische Gemeindezentrum ab. Das Zentrum ist in einem schönen, prächtigen, alten Gebäude untergebracht, das früher eine hebräische Tarbut-Schule beherbergte. Hier versammeln sich Mitglieder der Gemeinde, um Jiddisch zu lernen, jene beinahe vergessene Sprache, die vor dem Krieg weithin gesprochen wurde. Das Zentrum organisiert auch Tanzveranstaltungen und Ausflüge aufs Land für jüngere Schulkinder. Der Jugendgruppenleiter Valentin entstammt einer gemischten Familie: sein Vater ist Jude, seine Mutter Russin. Er identifiziert sich jedoch so stark mit seinen jüdischen Wurzeln, dass er sich sogar eine selbst entworfene Hand der Miriam (ein beliebtes jüdisches Glückssymbol) auf den Unterarm hat tätowieren lassen, die er stolz zeigt.

Allgemeine Unterstützung

Valentin ist kein großer Freund von Bibliotheken, freut sich aber über die Neueröffnung und verspricht, mal vorbeizuschauen. Auch die jüdische Gemeinde im Allgemeinen unterstützt die neue Bibliothek, obwohl einige Bedenken haben, das neue Projekt könnte von der Regierung manipuliert werden, entweder durch Vorgaben dazu, was in die Sammlung aufgenommen wird, oder indem es als Vorzeigeprojekt für die westliche Welt benutzt wird, das bezeugen soll, wie sich Litauen um sein verlorenes Erbe kümmert. „Die jüdische Kultur wird nicht automatisch dadurch reicher, dass eine jüdische Dame ein Buch über das Gärtnern geschrieben hat“, bemerkt die Bibliothekarin des Jüdischen Museums, Rosa Livaite. „Es handelt sich eher um eine fremdsprachliche Bibliothek.“ Wyman bestreitet diese Tatsache nicht. Er hofft darauf, auch Menschen anzulocken, die Fremdsprachen lernen möchten oder gerne Filme sehen (wie etwa Krieg der Welten, der seine Aufnahme in die Sammlung den jüdischen Wurzeln des Hauptdarstellers Gene Barry verdankt) und Vorträge besuchen. „Diese Bibliothek ist nicht allein für die jüdische Gemeinde bestimmt, sondern für alle. Ich möchte, dass die Leute wissen, welchen Beitrag Juden zur Weltkultur geleistet haben.“

Besteht bei den Litauern überhaupt Interesse an jüdischer Kultur? „Die Bibliothek bietet etwas, das junge Menschen anziehen könnte, vor allem wenn Veranstaltungen, Ausstellungen oder Treffen mit interessanten Personen angeboten werden“, so der Drehbuch-Student Teklė Kavtaradzė. Olya Lempert wird sich ansehen gehen, was dort zusammengetragen wurde. „Hoffentlich wird die Bibliothek Interesse wecken und Besucher wollen weiter forschen“, sagt sie. Und das genau ist die Idee. Wyman verspricht, alle jüdischen Kultureinrichtungen in der Bibliothek zu fördern, und hofft, dass Leute eine positive Verbindung knüpfen werden, wie er es vor vielen Jahren getan hat, als er zu einem Rabbi Small-Buch griff. „Ich habe dieses Buch gelesen, und sehen Sie, was sieben Jahre später aus mir geworden ist. Man weiß nie, was Leute in der Bibliothek für sich entdecken werden.“

AUTOR Sonia Zhuravlyova, ÜBERSETZUNG Barbara Canton

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